Wegeunfälle lassen sich vermeiden!

Irgendwann um halb vier in einer lauen und drückenden Sommernacht. Links und rechts zucken blaue Blitze über den Rand einer einsamen Bundesstraße. Die Stimme im Funk überschlagen sich. Viele, sehr viele Fahrzeuge fragen nach dem Einsatzort. Dazwischen die hektische Stimme eines Funkers, der noch eine Wehr und noch einen Schlauchwagen nachfordert. Auf einer Bergkuppe kann man den Grund sehen: Oranger Feuerschein und eine mächtige Rauchwolke, die sich gegen den Nachthimmel abzeichnet. Noch zwei Ortschaften, dann sind wir da. Und jetzt schon eingeteilt: Die zweite Halle muss unbedingt gehalten werden. Jetzt hat der 20 Jahre alte Diesel den letzten Berg endgültig geschafft und bekommt Schwung. Wasserversorgung steht, heißt es, prima, wir können unseren neuen Werfer das erste Mal testen. Letzte Kreuzung. Rote Ampel, fast egal, ist ja mitten in der N……

Es passiert immer wieder. Immer wieder Tote und Schwerverletzte bei uns und bei denen, denen wir eigentlich helfen wollen. Es passiert im Rettungsdienst, bei der Berufsfeuerwehr und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Es passiert der Polizei. Wegeunfälle sind von der Menge und Unfallschwere führend in den Unfallstatistiken. Doch die Zahlen drücken nicht ansatzweise das Leid aus, was dahinter steht: Der NEF-Fahrer, der ein sehr lange an seiner Verletzung litt und jetzt bei jeder Alarmfahrt Angstzustände hat, der TLF-Maschinist, der ein Leben lang damit leben muss, den Tod eines Menschen verursacht zu haben, obwohl er nur helfen wollte, das Mitglied der FF, der wegen den finanziellen Folgen des von ihm grob fahrlässig verursachten Unfalls auf dem Weg zum Gerätehaus vor dem Nichts steht.

Man darf sich natürlich nicht der Hoffnung hingeben, dass ein Kommentar auf der letzten Seite einer bunten Feuerwehrzeitschrift das bewirkt, was Kampagnen der Unfallkassen, entsetzliche Unfallbilder und straf-/zivilrechtliche Konsequenzen bis dato nicht bewirkt haben – eine Verringerung der Unfallzahlen. Wenn man es aber ernst mit dem Schutz der Feuerwehrangehörigen meint, kann man nicht jahrelang und mit viel Energie an der Schutzkleidung und Einsatztaktik feilen und eine viel häufigere Unfallart, den Wegeunfall, einfach ignorieren.

Klar ist auch, dass man den Wegeunfall nie ganz vermeiden wird. Aber klar ist auch folgendes: Wir fahren fast immer zu schnell auf Alarmfahrten. Bevor jetzt jeder „Ich aber nicht“ schreit, bitte überlegen, wann er denn das letzte mal schneller wie mit Schrittgeschwindigkeit sich das Wegerecht genommen hat oder er schneller als 20km/h über die geltende Geschwindigkeitsbegrenzung gefahren ist?

Was nicht hilft, wissen wir: Blinkende Dachaufsetzer, Magnetschilder, Gelblichter und was es sonst noch an Wunderlichkeiten in Ebay oder im Fachhandel gibt. Dadurch werden keine Unfälle vermieden, sondern geschaffen. Selbst mit einer zugelassenen SoSi-Anlage ist eine Alarmfahrt in meinem privaten PKW eines der gefährlichsten Sachen, die ich in der Feuerwehr praktiziere, auch wenn das für viele wohl ein erstrebenswertes Ziel darstellt. In den USA dürfen Feuerwehrangehörige in den meisten Bundesländern ihren privaten PKW mit allem was Licht und Lärm macht ausstatten – und jetzt raten sie mal, wie dort die Schwerpunkte des Unfallgeschehens aussehen!

Auch ist es relativ einfach, Unfälle den häufig recht jungen und unerfahrenen Maschinisten als Übermotivation anzulasten. Zur Erinnerung: wir flehen geradezu junge Leute an, bei der Feuerwehr mitzuwirken, bilden sie aus und motivieren sie damit, dass gerade sie und ihre Ausbildung gebraucht werden – dürfen wir uns wundern, wenn sie das umsetzen? Dürfen wir uns wundern, wenn ihnen die Erfahrung fehlt , ein schweres Löschfahrzeug unter den stressigsten Bedingungen der Welt zu führen? Dürfen wir uns wundern, wenn schon den Führungskräften (Vorbildern) die Ruhe fehlt, sich ordentlich anzuziehen, bevor sie auf Auto springen, die Ruhe fehlt, eine vernünftige Besatzung abzuwarten, die Ruhe fehlt, vernünftige Meldungen über Funk abzugeben (das sind dann natürlich nur die anderen Führungskräfte)?

Vielleicht eines der wirksamsten Mittel, die wir zur Verhinderung von Wegunfällen haben, ist, wenn jede Führungskraft die das hier liest (alles was vorne rechts sitzt) damit beginnt, ab dem nächsten Einsatz seiner Verantwortung für die Sicherheit seiner Mannschaft auch schon auf der Anfahrt gerecht zu werden – unabhängig davon ob wir zu einem Wasserschaden oder zur 5. Alarmstufe gerufen werden.

Wenn ihnen der Maschinist nicht fahrtauglich erscheint: Wechseln sie ihn aus. Auch wenn sie nur den Verdacht haben, dass der Fahrer nicht ganz nüchtern ist: wechseln sie ihn aus.

Wenn der Maschinist jung und unerfahren ist, bremsen sie ihn. Bestehen sie auf den ersten Alarmfahrten darauf, dass er sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält und in Kreuzungen mit Schrittgeschwindigkeit einfährt. Denken sie daran: Er hat nie vorher Alarmfahrten üben können!

Wenn ein Maschinist trotz ihrer Hinweise zu schnell und unachtsam fährt, lassen sie ihn anhalten und wechseln ihn aus.

Wenn ein Kamerad für die besonders rasante Fahrweise auf dem Weg zum Gerätehaus auffällig wird, stellen sie ihn zur Rede. Wenn das nicht hilft, „verbannen“ sie ihn auf des letzte ausrückende Fahrzeug! Wenn das auch nicht hilft, beurlauben sie ihn vom Einsatzdienst – bevor es zum Unfall kommt. Und: entweder sind Dachaufsetzer o.ä. sinnvoll, dann sollten sie alle Mitglieder ihrer Feuerwehr haben, oder sie sind es nicht, dann braucht ihn keiner.

Das alles wird ihren Beliebtheitsgrad nicht steigern, aber bei konsequenter Umsetzung wird sich nach kurzer, sehr kurzer Zeit ein wesentlich defensiverer Fahrstil durchsetzen.

Es sind diese einfache Aktionen, die mehr Menschen retten werden als Reflexstreifen an Handschuhen oder 400 Liter mehr Tankinhalt in einem Löschfahrzeug oder Drehleitern (und neuerdings Pumpenstände) mit mehr Computern wie ein Airbus-Cockpit.


Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von Jan Südmersen, Brandamtmann bei der Berufsfeuerwehr Osnabrück, zur Verfügung gestellt.